High Noon im Italo-Western - Handelsblatt.com 02.01.2014, 13:26 Uhr
Nach der Komplettübernahme von Chrysler ist Fiat-Chef Marchionne der unangefochtene Chef im italienisch-amerikanischen Weltkonzern. Doch damit sind längst nicht alle Probleme gelöst.
DüsseldorfSergio Marchionne ist ein Mann, der selten aus der Hüfte schießt. Mit John Wayne hat der Fiat-Chef darum wenig gemein. In seinem Heimatland gilt der Italo-Kanadier als kühler Rechner und Stratege. Auch mit diesen Eigenschaften kann man in einem Western zum Helden werden. Aus dem Duell mit der mächtigen US-Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) geht Marchionne als Sieger hervor. Für 4,35 Milliarden Dollar (3,16 Milliarden Euro) übernimmt Fiat die volle Kontrolle über seine US-Tochter Chrysler. Zusammen produzieren Chrysler und Fiat etwa vier Millionen Fahrzeuge, das sind immer noch deutlich weniger als die Weltmarktführer GM, Toyota und Volkswagen.
Die Italiener waren 2009 bei Chrysler eingestiegen, als der US-Hersteller in der Wirtschaftskrise in die Insolvenz schlitterte und vom amerikanischen Steuerzahler gerettet werden musste. Danach hatten die Italiener immer mehr Anteile am Autobauer erwerben können. Allein der Kampf um die Beteiligung der Gewerkschaft wurde bis zuletzt erbittert geführt. Die Anleger feiern Marchionne für die Einigung: Fiat-Aktien legten zum Handelsbeginn um 16 Prozent auf 6,89 Euro zu – der höchste Tageszuwachs seit April 2009. Der auf Druck der Gewerkschaft angekündigte Börsengang von Chrysler dürfte damit begraben werden.
Stattdessen kann Marchionne nach vorne blicken: „Dank der einheitlichen Besitzverhältnisse können wir nun unsere Vision eines globalen Autobauers umsetzen“. Eine Vision, die vor allem auf dem Erfolg der Amerikaner aufbaut. Chrysler schreibt seit mehr als zwei Jahren Gewinne, was Fiat half, die Einbrüche im europäischen Automarkt zu überstehen. Vor allem die „Glorreichen Drei“ Jeep, Dodge und Ram verkaufen sich in den USA blendend. Allein im dritten Quartal 2013 stieg der Gewinn von Chrysler darum um 22 Prozent auf 464 Millionen Dollar, der Umsatz um fast 14 Prozent auf 17,6 Milliarden Dollar.
Doch der Erfolg in den USA steht auf tönernen Füßen: Die Marge von Chrysler ist mit 4,9 Prozent nur fast halb so hoch wie die der Konkurrenten Ford und General Motors. Und auch technisch hat der US-Riese Nachholbedarf. Mit durchschnittlich 11,4 Litern auf 100 Kilometern ist der Durchschnittsverbrauch ungewöhnlich hoch. Vom Fünf-Jahres-Plan, den Marchionne im Jahr 2009 angekündigt hatte, ist nur wenig geblieben.
Nach vier Jahren ist von gemeinsamen Plattformen immer noch wenig zu sehen. Die Limousinen 200 und Avenger, neue kompakte Jeeps, ein Kleinwagen von Dodge und ein Crossover, die allesamt auf Fiat-Basis gebaut werden sollten, wurden verschoben und gleich ganz gestrichen. Dagegen nimmt US-Konkurrent Ford für 23 neue Modelle in diesem Jahr sogar einen Gewinnrückgang im Kauf. Nach 18 neuen Modellen im Jahr 2013 plant GM für 2014 mit weiteren 14 neue Fahrzeuge. Im technischen Dreikampf könnte Chrysler abgehängt werden.
Auch bei Fiat sind die Nachfolger für wichtige Baureihen auf die lange Bank geschoben worden. So altert der Fiat Punto gefährlich gegenüber wichtigen Wettbewerbern wie Ford Fiesta, VW Polo oder Peugeot 208. In der Kompaktklasse hat der Fiat Bravo den Anschluss an VW Golf, Opel Astra und Ford Focus verloren.
Sorge in Italien
Dabei hatte Marchionne noch vor drei Jahren ein ambitioniertes Programm angekündigt: Mit 20 Milliarden Euro sollten die italienischen Fabriken innerhalb von vier Jahren wieder wettbewerbsfähig gemacht machen. Unter großem Protest aus der Politik wurde das Vorhaben namens „Fabbrica Italia“ nach nur zwei Jahren wieder kassiert. Die Rahmenbedingungen hätten sich verändert, teilte der Konzern damals mit. Von angekündigten 51 Modellen aus heimischer Produktion sind ganze 17 geblieben. Innerhalb von fünf Jahren ist die durchschnittliche Auslastung nach Berechnung der Unternehmensberatung Alixpartners von 78 Prozent auf 46 Prozent gesunken. Mit 9 Milliarden Euro sollen die italienischen Fabriken nun wieder auf Kurs gebracht werden. Eine Investition, die aus den 12 Milliarden Dollar Reserven von Chrysler finanziert werden könnte.
Hoffnungen setzt Marchionne vor allem in die hochpreisigen Modelle: Die US-Tochter Jeep, die derzeit vor allem in den USA produziert, soll dieses Jahr auch im Fiat-Werk im süditalienischen Melfi einziehen. Und Maserati, die Nobelmarke des Fiat-Konzerns, soll das Dasein in der Nische aufgeben. Seit Anfang 2013 läuft der neue Quattroporte vom Band, der neue Ghibli soll als Diesel-Limousine mit Audi, Daimler und BMW konkurrieren und im lukrativen SUV-Segment soll dieses Jahr der Levante folgen. Um seine Edelmarke wieder auf Kurs zu bringen, investiert der italienische Autobauer 1,2 Milliarden Euro in die drei neuen Modelle. So soll der Absatz bis 2015 auf 50.000 Stück steigen. Schon heute betreibt Maserati das einzige Fiat-Werk, das ausreichend ausgelastet ist: in Grugliasco, westlich von Turin.
Bei den anderen italienischen Töchtern sieht die Lage schlechter aus. Lancia spielen Branchenbeobachter schon lange das Lied vom Tod. Zuletzt verkauft die Marke fast nur noch Chrysler-Fahrzeuge, die mit einem Lancia-Logo versehen wurden. In Deutschland sank der Absatz auf rund 3000 Stück im Jahr. Mit der Neuauflage des Lancia Thema soll der Marke neues Leben eingehaucht werden – wenn bis dahin nicht der Todeskuss aus Turin kommt.
Und auch Alfa Romeo wird derzeit auf Sparflamme betrieben. Allein mit Mito und Giulietta kann der Autobauer keine Gewinne schreiben. Der Hoffnungsträger 4C soll die Wiedergeburt der Marke einläuten. Im kommenden Jahr kommt auch der Alfa Romeo Spider, der auf dem MX5 von Mazda basiert, weitere Modelle aus der Designschmiede sollen Ende 2016 folgen. Damit könnte zwar die elegante Sportlichkeit in den Konzern zurückkehren. Doch große Gewinne versprechen die neuen Modelle vorerst nicht. Der Umbruch bei Alfa ist daher auf Starthilfe aus Amerika angewiesen.
Der US-Autobauer Ford hat in seinem Europageschäft (im Bild der Ford Fiesta ST) mit hohen Verlusten zu kämpfen. Pro verkauftem Neuwagen aus Europa machte Ford im ersten Halbjahr 2013 einen Verlust von 843 Euro – so viel wie kein anderer Massenhersteller. Die Ebit-Marge (Gewinn vor Zinsen und Steuern) lag bei minus 5,7 Prozent.
Das CAR-Institut der Universität Duisburg-Essen unter Professor Ferdinand Dudenhöffer hat untersucht, wie profitabel die Automobilkonzerne sind. Berechnet wurden dabei die Gewinne vor Zinsen und Steuern (Ebit) für die reine Automobilsparte. Zulieferaktivitäten oder andere Geschäftsfelder wie Motorräder, Bank- und Immobiliengeschäfte blieben dabei unberücksichtigt.
Auch das Geld, mit dem die Gewerkschaft ausgezahlt werden soll, muss erst einmal erwirtschaftet werden. Die ersten 1,9 Milliarden Dollar sollen UAW aus der Chrysler-Kasse ausgezahlt werden, weitere 1,75 Milliarden Dollar zahlt Fiat beim Abschluss der Transaktion. Der Plan ist, dass die Anteile bis spätestens 20. Januar den Besitzer wechseln. Zudem bekommt der UAW-Fonds von Chrysler weitere insgesamt 700 Millionen Dollar in vier jährlichen Raten ausbezahlt.
Entscheidend wird sein, ob der Fiat-Chef die Probleme in Europa mit internationalen Erfolgen kitten kann. „Dazu fehlt Fiat aber ein potenter Partner in Asien“, sagt Stefan Bratzel, Professor am Center of Automotive Management an der FHDW Bergisch-Gladbach. Und auch die Partnerschaft mit der US-Schwester Chrysler müsse sich erst noch beweisen. „Das wichtigste ist die Entwicklung gemeinsamer Plattformen“, sagt der Autoexperte.
Welche Autostandorte die beste Qualität produzieren
In der Studie „European Automotive Survey 2013“ haben die Wirtschaftsprüfer von Ernst&Young 300 europäische Unternehmen der Automotive-Branche befragt, wie sie die Produktqualität der Automobilstandorte bewerten.
Nach dem Machtkampf in den USA muss Marchionne nun auch den Machtkampf mit den italienischen Gewerkschaften für sich entscheiden. Die Branchengewerkschaft Fim-Cis fordert schon jetzt weiteres Geld. „Nun ist es sehr wichtig, dass so früh wie möglich in die italienischen Werke investiert wird“, sagte Ferdinando Uliano von Fim in einer ersten Stellungnahme. Die Gewerkschaft lehnte im vergangenen Jahr neue Arbeitsvorschriften mit längeren Schichten und kürzeren Pausen ab. Nach der Übernahme könnte der Fiat-Chef nun den Druck auf die italienischen Gewerkschafter verschärfen. Schon im vergangenen Jahr hatte er mit Verlagerung der Produktion in die USA gedroht. Das nächste Duell im Italo-Western steht bereits bevor.